Kieler Matrosenaufstand - Auslöser der November Revolution 1918 in Deutschland

 

Foto Karl Artelt ca. 1950

Erinnerungen von Karl Artelt 1958:

Karl Artelt gehörte neben Lothar Popp zu den Anführern des Kieler Matrosenaufstands 1918. Im Gegensatz zu Popp, der 1917 aus der Armee entlassen worden war (er blieb jedoch Dienstverpflichtet), war Artelt Angehöriger der 1. Torpedodivision in Kiel-Wik und war dort in der Torpedobootsreparaturwerft tätig. Artelt war wie Popp Mitglied der USPD, wechselte aber 1919 zur KPD und schrieb später in der DDR seine Erinnerungen in einem Beitrag zu dem Band "Vorwärts und nicht vergessen - Erlebnisberichte aktiver Teilnehmer der Novemberrevolution 1918/1919" nieder. Es folgen einige Auszüge daraus, die weniger bekannte Ereignisse jener Zeit beleuchten:

Vor dem Kaiser-Cafe empfing uns plötzlich MG-Feuer. Unser Demonstrationszug stoppte. Als wir feststellten, daß niemand getroffen worden war, gingen wir weiter. Daraufhin schossen die MG-Schützen direkt in unseren Zug hinein. Vierzig bis fünfzig Demonstranten, darunter auch Frauen und Kinder, brachen unter den Kugeln zusammen. Acht von ihnen wurden getötet und 29 schwer verletzt (siehe Anm. unten).

Foto_Artelt_1914 Durch die Massen ging ein Schrei der Entrüstung und des Protestes. Nachdem die Mörder, die unter dem Kommando des Leutnants Steinhäuser standen, ... nicht bereit waren, das Feuer einzustellen, sprang ein Matrose ... vor und schlug den Leutnant Steinhäuser mit dem Gewehrkolben nieder. ...Junge Matrosen und Arbeiter stürmten die Stellung der Maschinengewehrschützen und schlugen sie in die Flucht.

Am anderen Morgen (4.11.1918, Klaus Kuhl) mußten alle Truppenteile in Kiel zum Appell antreten. ... Nach den üblichen Meldungen bestieg der Divisionskommandeur, Kapitän zur See Bartels, einen bereitgestellten Tisch und hielt eine Ansprache .. Er schilderte die gestrigen Vorkommnisse, sagte auch, dass die Luft mit Hochspannung geladen sei, dass aber ein Soldat sich nicht mit Politik zu befassen habe, da er von Politik nichts verstünde. Nachdem er den Tisch verlassen hatte, ... Kurz entschlossen sprang ich hinauf, hielt ebenfalls eine kurze Ansprache und forderte die Matrosen zur Wahl von Soldatenräten auf. Offiziere, die mich vom Tisch herunterzuschiessen versuchten, wurden von Matrosenfäusten rücksichtslos entwaffnet. Anschliessend stürmten wir unsere Waffenkammern und wählten in allen Kompanien Soldatenräte. Ich wurde zum Vorsitzenden des Soldatenrates gewählt.

Nach kurzer Zeit erhielten wir die Meldung, dass ich sofort zum Gouverneur kommen möchte. Wir machten ein Auto klar, holten von einem Torpedoboot eine große rote Fahne, die größer als das Auto war, und bereiteten die Abfahrt vor.

Als wir das Zimmer des Gouverneurs betraten, merkte ich, wie dieser sich förmlich zwingen mußte, mit uns zu unterhandeln. ... Er kam uns entgegen und sagte: "Ich danke Ihnen, dass sie die Courage aufgebracht haben, herzukommen." Bevor wir in Verhandlungen mit ihm eintraten, fragte ich ihn, ob er uns als die von den Soldaten gewählten Vertrauensleute anerkenne und auf gleichberechtigter Basis mit uns verhandeln würde. Angesichts der realen Tatsachen antwortete er gezwungenermaßen mit "Ja". Ich erklärte ihm nunmehr, dass wir zunächst die Fragen klären müßten, die in seinem Machtbereich liegen. Gleichzeitig warnte ich ihn jedoch .... Landtruppen gegen die revolutionären Matrosen einzusetzen. In diesem Falle hätte das III. Geschwader die Anweisung, das Offiziersvillenviertel Düsternbrook unter Feuer zu nehmen und alles in Schutt und Asche zu legen. ... gab er sofort in meiner Gegenwart die Erklärung ab, keine auswärtigen Truppen heranzuziehen und die schon auf dem Transport befindlichen ... zurückzuschicken. Außerdem teilte er uns noch mit, dass der Abgeordnete Noske und Staatssekretär Haußmann nach Kiel kommen würden, um mit uns weiter zu verhandeln.

Am Abend erhielten wir dann die Nachricht, dass trotz der Erklärung des Gouverneurs vier auswärtige Infanterieeinheiten im Anmarsch seien. Wir sprangen sofort in unser Auto und fuhren den Infanteristen entgegen. An der Post erreichten wir sie. Wir sprachen mit ihnen ... Anschließend forderte ich sie auf, .... entweder ihre Waffen abzugeben oder sich den Revolutionären anzuschliessen. Die Infanteristen, ... schlossen sich unserer revolutionären Bewegung an. Die Offiziere wurden entwaffnet.

Zur Frage warum Noske in Kiel relativ freie Hand erhielt, erklärte Artelt in den 60er Jahren auf Fragen von Angehörigen der Volksmarine (nach Robert Rosentreter, "Blaujacken im Novembersturm", Dietz Verlag, 1988, S. 250 f.):
Karl Artelt hat auf diesbezügliche Fragen von Angehörigen der Volksmarine immer wieder betont, dass ihm und anderen Genossen die Rolle Noskes durch dessen Verhalten erst nach und nach bewußt geworden wäre. Artelt selbst und andere ... hätten zwar gewußt, dass Noske zu den rechten Kräften in der Partei gehörte, ihn aber doch immerhin als sozialistischen Parteifunktionär angesehen und gehofft, dass er in der Revolution eine den Arbeitern nützliche Politik machen würde, keineswegs hätte jemals jemand gedacht, dass er bereit sein könnte, auf Arbeiter schießen zu lassen ....

Zu dieser Frage (warum die Räte Noske in eine führende Position liessen) äusserte sich auch Lothar Popp in einem Interview im Jahre 1978. Siehe >>.

Anmerkung: Zur Anzahl der Toten und Verwundeten vergleiche Dähnhardt: "Revolution in Kiel", Wachholtz Verlag, 1978, S. 65 und 66; nach den amtlichen Dokumenten gab es 7 Tote bei der Schießerei. Es waren keine Frauen und Kinder unter den Opfern. Eine Frau war kurze Zeit vorher im Verlauf des Demonstrationszuges unter eine Strassenbahn geraten und gestorben. Zwei verwundete Personen starben später. Damit kamen insgesamt 10 Personen im Rahmen der Ereignisse des 3. November ums Leben.
Es scheint kein MG eingesetzt worden zu sein, Die Postenkette war offenbar "nur" mit Gewehren bewaffnet.

 
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