Das merkte man an irgendwelchen äußerlichen Dingen. Wo Arbeiterversammlungen waren, von der KPD oder der USPD,. da traten immer solche Störtrupps auf, die sich zusammensetzten aus Angehörigen der Marine oder irgendwelcher Verbände, die hier in Kiel waren. Da konnte man schon merken, da tat sich was. Und wenn wir öffentliche Versammlung hatten im Colosseum, das war früher ein großes Balllokal am Exerzierplatz oder in der Deutschen Wacht usw., dann traten diese Schlägergruppen so auf. Das waren eigentlich Soldaten in Zivil, die von ihren Truppenteilen dorthin beordert waren, die Versammlungen der Parteien USPD, KPD und anderer zu stören. Das haben wir mehr als einmal, erlebt, und dann wusste man, aus welcher Ecke der Wind pfiff.
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Als wir morgens zur Arbeit gingen, da hörte man schon irgendwas
von den Telegrafenbüros, dass in Berlin schon irgendwas in Gange
war. Und dass dann, wie wir im Betrieb waren und das ein bisschen
konkreter wurde...
K: Sie waren damals noch bei Stocks und Kolbe?
Preßler: Nein, auf der Germania-Werft. Stocks und Kolbe war ich
nur 1919. Aber 1920, wie der Kapp Putsch war, war ich auf der
Germania-Werft. Und da hieß es ja nun, Kapp hätte die Regierungsgewalt
übernommen. Dann kam auch sofort, hinterher kamen die Meldungen
durch die Telegrafenbüros, der Aufruf der Gewerkschaften zum Generalstreik.
Die Reichsregierung war von Berlin nach Weimar (Anm. Kuhl: Preßler
meint Dresden) geflüchtet, möchte man sagen. Die etablierte sich
da, und dann ging von dort aus der Widerstand - und besonders
der Widerstand aus den Betrieben in den Großstädten Berlin, Magdeburg,
Kiel usw. - aus. So dass man sagen konnte, im Laufe des Tages
war der Generalstreik, nach den Meldungen, die wir erhielten,
doch eigentlich komplett.
K.: Sie haben auf der Germania-Werft auch sofort die Arbeit
niedergelegt?
Preßler: Das war gleich. Und wir zogen dann im großen Zug von
den Werften zu großen Versammlungen in die "Deutsche Wacht" (früher
"Englischer Garten"). Und dann kamen die Parolen von den Parteien
und von den Gewerkschaften, wo es drauf ankam, "Generalstreik"
in ganz Deutschland. Dann hat man sich erst mal auf die Lauer
gelegt, was wird nun werden.
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Die ersten Tage ging das noch so, dass diese Noskiten (Anm. Kuhl:
Preßler verwendet diese Bezeichnung sehr pauschal für
das Freicorps von Wilfried von Loewenfeld, da dieses mit Wissen
und Billigung Noskes in Kiel aufgebaut worden war, aber auch für
die Zeitfreiwilligen und z.T. auch für die regulären
Marineeinheiten.) sich in Gaarden herumtrieben. Die lagen mit
ihren Maschinengewehren auf den Strassen und wenn sich da von
der Bevölkerung welche blicken ließen, dann knallten sie durch
die Strassen mit MGs. "Fensterrr zu!" haben sie gerufen und dann
knallten sie.
K: Dann herrschte so eine Art Ausgehverbot?
Preßler: Ja, das machten die von sich aus. Elisabethstrasse, Vinetaplatz,
Kirchenweg und überall da wurde geballert. Die Frauen machten
die Fenster auf, "Was ist los?" und dann schossen die schon da
unten. Das war alles so eine nervöse Sache und das hat sich nachher
bald gegeben, weil unsere Leute dahinter kamen, wie man gegen
diese Brüder vorgehen muss.
Foto: Barrikaden im März 1920 Ecke Wilhelminenstr./
Fährstr. (heute Legienstr.)
Blickrichtung zum „Kleinen Kiel“
Die Beschriftung: "Dreiecksplatz" ist falsch.
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Wir sind gekommen oben von der Holstenstrasse her und die Küterstrasse
runter und da war doch noch diese olle Mühle (Anm: Kuhl: heutige
Landesbank). Unter der Mühle haben wir gelegen mit einem Maschinengewehr
und haben immer auf die Brüder geschossen, die da in den Anlagen
vor der Spar- und Leihkasse lagen. Die Noskiten, die kamen von
der Bergstrasse und waren dann in die Gebüsche vor der Spar- und
Leihkasse gegangen...
Ich weiß noch, wir haben damals vom Kleinen Kiel aus die Geschichte
gemacht gegen die Noskiten, die sich dort in der Schule an der
Bergstrasse verschanzt hatten.
Gegenüber war noch das sog. Kasu-Haus, und dann schossen sie noch
von der anderen Seite Muhliusstrasse mit Minenwerfern, von der
Brunswik aus. Und dann schossen sie da immer rüber mit Minenwerfern
in die Bergstr. hinein und dann ging das da los.
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K. : Also es gab in allen Stadtteilen, in allen Betrieben
solche Aktionsausschüsse, die Truppen aufstellten, Bewaffnung
organisierten.
Preßler: Das mit dem Truppen aufstellen, das ging eigentlich sehr
kompakt im Zusammenhang mit den Kämpfen in Kiel vonstatten. Dann
wurde die Arbeiterwehr gegründet, dann wurde die Hilfe der Behörden
in Anspruch genommen, auch in Bezug auf die Finanzierung, der
dann in der Arbeiterwehr tätigen Kollegen. Sie bekamen ihre Uniformen,
ihre Waffen, ihre Tagelohn usw. und sie taten dann ihre Tätigkeit
als Angehörige der Kieler Arbeiterwehr.
K. : So gründlich wurde das organisiert?
Preßler: Ja, in den einzelnen Stadtteilen. In Gaarden in der Kaiserstrasse
und in der Wik und oben im Norden. Das war dann richtig organisiert
nachher...
K.: ... von diesen Aktionsausschüssen und da waren meistens
Vertreter von allen drei Parteien drin.
Preßler: Ja.
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Die Proleten haben gesagt, so, jetzt räumen wir aber auf! Jetzt
werden die Großen beim Kanthaken gekriegt, jetzt werden mal ihre
Backstuben und Wohnungen durchleuchtet und durchstöbert. Die Güter
in der Umgebung von Kiel, wie Bothkamp und so, die wurden durchstöbert
und dann wurden die Maschinengewehre und Gewehre dort aus den
Scheunen geholt, nach Kiel transportiert. Da wurden dann die ganzen
reaktionären Waffenlager aufgedeckt.Das machten die Proleten aber
aus sich, da wurden keine Kommandos gegeben. Das kam dann auf
einmal da so an.Am Kleinbahnhof kamen all diese Waffentransporte,
die die Landarbeiter auf ihren Gütern beschlagnahmten, Maschinengewehre
und Gewehre zu Dutzenden, die kamen dann mit der Kleinbahn nach
Kiel gerollt. Und wurden dann von der Arbeiterwehr in Kiel in
Empfang genommen.
K.: Wurden dabei auch diese Rittergutsbesitzer verhaftet?
Preßler: Teilweise ist das geschehen. Diese Bülows von Bothkamp,
die sind noch geflüchtet. Aber denen wurde nachher nichts getan,
weil die ordnende und segnende Hand von Berlin dazwischenkam:
das machen wir schon auf "ordnungsgemäßem" Wege.
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Die standen aber nicht auf dem Boden der Verfassung, sondern die standen schon auf der anderen Seite vom Kieler Kanal und wurden in Groß-Wittensee verladen ins Ruhrgebiet. Da kamen wir den anderen Tag erst dahinter, als uns die Eisenbahner gesagt haben: "Die sind jetzt ins Ruhrgebiet gefahren worden, um dort die Arbeiter runterzuschlagen."
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Und dann kamen schon die Aufrufe, gebt die Waffen ab. Und dann hieß es für jedes Gewehr, das abgeliefert wird, da kriegt ihr soundsoviel. Ich weiß gar nicht wie viel das war, 40 oder 80 Mark.
Das vollständige Interview kann hier zur privaten Nutzung heruntergeladen
werden (pdf, 100 kB):
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Stand: 28.3.2019